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Kultur trifft Weiterbildung: Ein Gespräch zwischen Amtsleiter David Nethen und vhs-Mitarbeiterin Allegra Ringel


Ringel: Herr Nethen, Sie sind die neue Amtsleitung für Kultur und Weiterbildung. Ihr beruflicher Werdegang ist beeindruckend und vielseitig. Lassen Sie uns am Anfang beginnen: Sie sind in den USA aufgewachsen. Was hat Sie dazu bewogen, nach Deutschland zu ziehen?

Nethen: Die Entscheidung, nach Deutschland zu ziehen, war zunächst Teil meines Studiums – genauer gesagt, eines Auslandssemesters im Jahr 1993. Ursprünglich sollten es nur sechs Monate sein, aber ich verliebte mich in die Kultur und die Menschen hier. Außerdem erkannte ich, dass das Studium in Deutschland erheblich günstiger war als in den USA, was es mir erleichterte, meine Eltern zu überzeugen, dass ich bleiben sollte.

Ringel: Wenn Sie in den USA aufgewachsen sind, welche Sprachen sprechen Sie?

Nethen: Englisch ist meine Muttersprache, aber ich denke, mein Deutsch ist mittlerweile recht gut. Ich habe auch ein Interesse an Niederländisch entwickelt und während meines Studiums etwas Italienisch gelernt. Allerdings ist das schon einige Zeit her.

Ringel: Gibt es in den USA ein Pendant zur deutschen Volkshochschule, und wie unterscheidet es sich von der deutschen Institution?

Nethen: Es gibt in den USA ähnliche Strukturen, die als Community Colleges bekannt sind. Diese Einrichtungen sind in vielerlei Hinsicht mit den deutschen Volkshochschulen vergleichbar. Sie bieten Bildungsangebote für die gesamte Bevölkerung, unabhängig vom Alter.

Ringel: Sie haben ein erfolgreiches Musikstudium abgeschlossen und sind als Ensemblemitglied aktiv. Was hat Sie dazu veranlasst, eine Laufbahn im Schuldienst einzuschlagen?

Nethen: Ich würde sagen, meine Neugier und mein Wunsch, ständig Neues zu entdecken, haben mich dazu geführt. Obwohl ich die Zeit im Theater und die Möglichkeit, auf der Bühne zu stehen und Opern zu singen, sehr genossen habe, interessierte mich auch das Bildungssystem. Ein Freund wies mich 2005 darauf hin, dass es einen Mangel an Lehrkräften gab, und so begann ich zunächst als Vertretungslehrer an einem Gymnasium. Später entschied ich mich, mein Studium als erstes Staatsexamen anerkennen zu lassen und ins Referendariat zu gehen.

Ringel: Sie waren seit 2017 als Oberstudienrat tätig. Welche Veränderungen haben Sie im Laufe Ihrer Lehrertätigkeit im Bildungssystem beobachtet, und wie haben Sie darauf reagiert?

Nethen: Ich habe mich immer für die kulturelle Bildung innerhalb des schulischen Systems interessiert. Doch irgendwann wurde mir klar, dass das Bildungssystem selbst nicht die notwendige Transformation durchläuft oder zumindest nicht in dem Tempo, das erforderlich wäre. Dies weckte mein Interesse an strategischer Schulentwicklung insgesamt und führte schließlich dazu, dass ich mich heute viel breiter im Bildungssektor engagiere, insbesondere im Bereich der Weiterbildung, wo ich viele Zukunftschancen im Zusammenhang mit der Bewältigung zeitaktueller Herausforderungen unserer Gesellschaft sehe.

Ringel: Während Ihrer Tätigkeit als Oberstudienrat wurden Sie in der Kommunalverwaltung eingesetzt, unter anderem im Kommunalen Integrationszentrum und im Regionalen Bildungsbüro. Wie haben diese Erfahrungen Ihre Perspektive auf das Bildungssystem verändert?

Nethen: Diese Erfahrungen waren prägend für meine berufliche Entwicklung. Meine eigene Migrationsgeschichte und die erfolgreiche Integration in die deutsche Gesellschaft motivierten mich, andere in ähnlichen Situationen zu unterstützen. Die Arbeit im Kommunalen Integrationszentrum und später im Bildungsnetzwerk der Stadt Oberhausen öffnete mir die Augen für die vielfältigen Herausforderungen und Chancen in den Bereichen Digitalisierung, Schulentwicklung, Bildungsnetzwerke, Inklusion, Integration und Bildungsentwicklung u.a..

Ringel: In Ihrer beratenden Tätigkeit haben Sie zu den Themen Digitalität, kulturelle Bildung und Integration gearbeitet. Welche Herausforderungen sehen Sie in diesen Bereichen, und wie gehen Sie diese an?

Nethen: Die Digitalisierung ist zweifellos ein zentrales Zukunftsthema, das jedoch immer menschenzentriert bleiben muss. Wir als Volkshochschule haben die Pflicht, sicherzustellen, dass alle Teile der Gesellschaft Zugang zu digitalen Teilhabemöglichkeiten haben. Ein intergenerationeller Dialog, etwa durch die Zusammenarbeit zwischen Digital Natives und Senioren, könnte ein Weg sein, um diesen Zugang zu fördern. Auch kulturelle Bildung spielt eine entscheidende Rolle, insbesondere für Menschen, die die deutsche Sprache nicht beherrschen. Multisensorische Lernzugänge können hier entscheidend sein, um eine breitere Teilhabe zu ermöglichen.

Ringel: Sie haben langjährige Erfahrung als Organist, Chorleiter und Dirigent. Wie beeinflusst Ihre musikalische Praxis Ihre Arbeit im Bildungsbereich und in der Verwaltung?

Nethen: Meine künstlerische Tätigkeit hat meine Sicht auf Bildungsprozesse wesentlich geprägt. Die Arbeit mit Musikensembles, wie etwa Chören, zeigt mir, wie unterschiedliche Menschen trotz ihrer individuellen Voraussetzungen und Lebenssituationen auf einer gemeinsamen Metaebene zusammenarbeiten können. Diese Erfahrung möchte ich in meine Arbeit einbringen, insbesondere in der kulturellen Bildung und in der Zusammenarbeit mit anderen Bildungsinstitutionen.

Ringel: Welche Ziele verfolgen Sie in Ihrer neuen Position als Leiter der Volkshochschule, und wie wollen Sie Ihre bisherigen Erfahrungen dort einbringen?

Nethen: Mein zentrales Ziel ist es, die bereits begonnene Arbeit im Bereich der Digitalisierung fortzuführen und zu intensivieren, gleichzeitig aber auch sicherzustellen, dass alle Mitarbeitenden die Möglichkeit haben, sich weiterzuentwickeln und ihre eigenen Visionen in die Arbeit einzubringen. Das Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist auch ein wesentliches Thema, welches zugleich einen konkreten Rahmen für Transformationsaufgaben insgesamt vorgeben kann. Ich möchte gerne in diesem Feld ein ganzheitliches Konzept für das ZiB in Zusammenarbeit mit allen Sachgebieten initiieren. Ich sehe es insgesamt als essenziell an, den Fokus von der kurzfristigen Problemlösung hin zu einer langfristigen, zukunftsorientierten nachhaltig angelegten Planung zu verlagern.

Ringel: Wie sehen Sie die Rolle der Erwachsenenbildung im heutigen Bildungssystem, insbesondere im Hinblick auf lebenslanges Lernen?

Nethen: Wir müssen lebenslange Bildungsbiografien begleiten lernen! Lebenslanges Lernen muss als integraler Bestandteil jeder Bildungsbiografie verstanden werden. Volkshochschulen spielen eine zentrale Rolle in diesem Prozess, indem sie Bildungsangebote für alle Altersgruppen bereitstellen und somit auch zur Stärkung unserer Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt beitragen. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit mit anderen Bildungsinstitutionen und eine ganzheitliche Betrachtung des Bildungswegs von der Kita bis hin zur beruflichen Weiterbildung.

Ringel: Wie kann die Erwachsenenbildung dazu beitragen, die digitale Kluft in der Gesellschaft zu überwinden?

Nethen: Es ist entscheidend, ein PR-Konzept zu entwickeln, das die Zielgruppen der Volkshochschule klar definiert und darauf aufbauend maßgeschneiderte Bildungsangebote entwickelt. Die Akzeptanz und die Fähigkeiten im Umgang mit Digitalisierung variieren stark zwischen den Zielgruppen, und es ist unsere Aufgabe, diese Unterschiede zu berücksichtigen und gezielt programmatisch darauf einzugehen.

Ringel: Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer bisherigen Laufbahn mit der Arbeit an oder mit Volkshochschulen gemacht?

Nethen: Die Zusammenarbeit mit der Volkshochschule der Stadt Oberhausen war prägend für meine bisherigen Erfahrungen. Besonders beeindruckend war die Organisation eines Fachtages zur antisemitismuskritischen Bildungsarbeit, der in einem kooperativen Netzwerk auf Augenhöhe geplant und bereits im Frühjahr 2023 durchgeführt wurde. Solche Netzwerke sind zukunftsweisend, da sie durch ihre Zusammenarbeit nachhaltige Lösungen für gemeinsame gesellschaftliche Herausforderungen entwickeln können.

Ringel: Inwiefern können Volkshochschulen als Partner in der kommunalen Bildungsplanung eingebunden werden, und welche Synergien sehen Sie hier?

Nethen: Die Volkshochschule Unna hat das Potenzial, ein zentraler Dreh- und Angelpunkt der Stadtgesellschaft zu sein. Durch die Vernetzung der unterschiedlichen Akteure und Angebote in diesem "dritten Ort" können wir eine nachhaltige Entwicklung für die Bürgerinnen und Bürgern der Kreisstadt Unna fördern. Besonders wichtig ist mir dabei, dass die Volkshochschule stets als Ort der Begegnung und des Austauschs dient, wo Menschen aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft zusammenkommen und voneinander lernen können.

Ringel: Welche neuen Themen oder Kursangebote können Ihrer Meinung nach an der vhs eingeführt werden, um auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren?

Nethen: Die gesellschaftlichen Herausforderungen, insbesondere im Bereich der Demokratie und der Digitalisierung, erfordern eine kontinuierliche Anpassung und Weiterentwicklung des Kursangebots. Ein wichtiger Aspekt wird die Integration von Künstlicher Intelligenz in die Bildungsangebote sein, um den Umgang mit neuen Technologien zu fördern und gleichzeitig deren gesellschaftliche Auswirkungen kritisch zu reflektieren.

Ringel: Welche Strategien würden Sie empfehlen, um eine breitere Zielgruppe für die Angebote der vhs zu gewinnen, insbesondere auch jüngere Erwachsene?

Nethen: Die Entwicklung eines gezielten PR-Konzepts, das die verschiedenen Zielgruppen anspricht und geeignete Kommunikationskanäle nutzt, ist von zentraler Bedeutung. Um jüngere Erwachsene zu erreichen, müssen wir mutiger in der Nutzung von Plattformen wie TikTok sein und eine Ansprache wählen, die diesen Zielgruppen entspricht. Die mediale Präsenz und die Wahl der richtigen Kommunikationsstrategien sind entscheidend, um diese Zielgruppe erfolgreich anzusprechen.

Ringel: Unser neues Programm für das zweite Halbjahr 2024 ist erschienen. Haben Sie einen Kurs entdeckt, den Sie gerne belegen würden?

Nethen: Ja, ich habe einen Kurs gefunden, der mich besonders anspricht: Lichtmalen. Ich habe in der Vergangenheit schon einmal in einem Musikkurs damit experimentiert und bin fasziniert von der Möglichkeit, durch Licht künstlerische Ausdrucksformen zu schaffen. Vor dem Hintergrund, dass das Lichtkunstmuseum hier im Haus beheimatet ist, finde ich diesen Kurs besonders spannend und würde mich gerne dafür anmelden.


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